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Digitale MedienJugend und Smartphones: Nur keine Panik, liebe Eltern!

«Epidemie von Geisteskrankheiten»: Teenager mit Smartphone.

So dramatisch hat es noch keiner formuliert. In seinem im März erschienenen Buch «The Anxious Generation» – die ängstliche Generation – warnt der prominente US-Sozialwissenschaftler Jonathan Haidt eindringlich vor den vermeintlich verheerenden Wirkungen, die Smartphones und soziale Medien auf Kinder und Jugendliche haben. Der Untertitel seines viel beachteten Werks lautet: «Wie die grosse Vernetzung der Kindheit eine Epidemie von Geisteskrankheiten verursacht» – Haidt behauptet sogar, die exzessive Nutzung digitaler Medien und damit die Verblödung einer Generation könne ganze Demokratien ins Wanken bringen. 

Es droht der Untergang des Abendlandes, wieder einmal. Angesichts des Ernsts der Lage fordert Haidt, Kinder sollen erst mit 14 Jahren ein Smartphone benutzen, Zugang zu Social Media gibts erst ab 16 Jahren. Dass solch prohibitive Positionen mehrheitsfähig sind, zeigt sich gerade auch in dem Land, in dem die Teufelstechnologie erfunden worden ist, in den USA. Utah reglementierte kürzlich die Social-Media-Aktivitäten von Minderjährigen, die Bundesstaaten Arkansas, Texas, Ohio und Louisiana wollen folgen. Hinter dieser Entwicklung stehen zumeist konservative Politikerinnen und Politiker oder parteiübergreifende Elterninitiativen, die sich alle dem Schutz von Kindern und Familie verschrieben haben.

Rebellensound und Apokalypse

Jugend und Medien, das war immer schon eine schwierige Geschichte. Weniger für die Jugendlichen selbst als vielmehr für ihre Mütter und Väter, die aus Sorge um ihren Nachwuchs oftmals geradezu panisch auf innovative Medientechnologien und neue Medieninhalte reagierten.

Einst waren es die Musik der Jugend und ihre neuen Verbreitungsweisen, die in der damaligen Elterngeneration Endzeitängste weckten. Klassisches Beispiel: der Rock ’n’ Roll in den 1950er-Jahren, der, so fürchteten viele, nicht nur das Wohlverhalten der Jugend gefährdete, sondern ebenso ihre geistige Gesundheit. Behörden verboten Konzerte, Radiosender weigerten sich, den Rebellensound zu spielen.

Verrohung einer Generation? Bub beim Gamen.

Dann das Fernsehen. Es mache die Jugendlichen passiv und apathisch, es beeinträchtige die intellektuelle Entwicklung. Der Begriff «Fernsehverdummung» ging schon in den 1970er-Jahren um, und wer aus einer Entfernung von weniger als fünf Metern fernsah, hatte mit Augenschäden zu rechnen, ja Erblindung. Auch das Fernsehen galt als Zivilisationsfalle: Der Medienwissenschaftler Neil Postman lancierte mit «Wir amüsieren uns zu Tode» in den frühen 1980er-Jahren einen Bestseller. Er argumentierte damals wie Haidt heute – nur arbeitete er sich am TV, nicht am Smartphone ab: Der Medienkonsum forme insbesondere die Jungen zu ungebildeten, schlecht informierten Bürgerinnen und Bürgern, die zu keinem ernsthaften öffentlichen Diskurs mehr fähig seien. 

Pseudoevidenz und digitale Demenz

In den 1990er-Jahren waren es die Videospiele, welche die Jugend in Abhängigkeit, Gewalttätigkeit und Verblödung treiben sollten. Obwohl schon damals die uneindeutigen Ergebnisse der Medienforschung diese neuste Elternpanik nicht rechtfertigte, führten einige Länder strenge Altersbeschränkungen ein und verboten gar Videospiele. 1993 und 1994 mussten die Hersteller des Games «Mortal Kombat» in den USA vor dem Kongress antreten, um sich gegen die Anschuldigungen zu verteidigen, dass ihre Produkte die Jugend gefährdeten. Ziemlich genau 30 Jahre später musste Mark Zuckerberg dasselbe tun. Der Vorwurf: Sein Konzern Meta würde im Streben nach Profit die Sicherheit von Kindern und Jugendlichen auf der Plattform ignorieren.

Selbstverständlich können massloser TV-Konsum, Dauer-Gamen oder exzessive Social-Media-Aktivität Kindern und Jugendlichen schaden. Doch hätte sich nur schon ein kleiner Teil der düsteren Befürchtungen bewahrheitet, die in den vergangenen 70 Jahren neue Medienangebote geradezu dämonisiert haben, so wären die Welt und wir mit ihr schon mehrfach untergegangen. Tatsächlich aber tendieren Gesellschaften dazu, ihre anfänglichen Ängste gegenüber neuen Medientechnologien zu überwinden, um diese dann in die kulturelle Praxis zu integrieren.

Jugendmedium Rock ’n’ Roll: Teenager aus den 1950er-Jahren beim Musikhören.

War es lange die Psychologie, welche vor den Gefahren von Medienkonsum warnte, wird heute gerne die Neurologie bemüht, um mit Pseudoevidenz beispielsweise die Verdummungsthese zu stützen. Die Annahme, dass die digitale Reizüberflutung unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit schädigt, ist weitestgehend unbestritten und verkauft sich ausgezeichnet auf dem Buchmarkt; man denke an Manfred Spitzers Bestseller «Digitale Demenz». Dumm nur, weist diese Degenerationsthese eine grosse Schwäche auf: Sie hat sich als falsch erwiesen. 

Eine Forschungsgruppe um die Psychologin Denise Andrzejewski von der Universität Wien kam unlängst zum Schluss, dass die Konzentrationsfähigkeit von Erwachsenen in den vergangenen Jahrzehnten nicht abgenommen, sondern zugenommen hat; die viel beachteten Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift «Personality and Individual Differences» veröffentlicht worden. Aber was ist mit den Kindern und Jugendlichen? Auch sie seien nicht fahriger geworden, urteilen die Forschenden.

Es wäre an der Zeit, dass Wissenschaftler wie Haidt auf ein alarmistisches Gerede wie dasjenige von den «epidemischen Geisteskrankheiten» verzichten und Eltern den Panikmodus ausschalten würden.

Was lehrt uns die Geschichte von der Jugend und ihren Medien wirklich?

Es gibt keine einfachen Antworten

Auf die Frage nach den Wirkungen von Medien gibt es «keine einfachen Antworten», sagt Daniel Süss, Jugend- und Medienforscher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Universität Zürich.  «Derselbe Medieninhalt kann bei verschiedenen Jugendlichen ganz unterschiedliche Effekte zeitigen.» Auch heute könne die Mehrzahl der Jugendlichen gut mit dem Medienangebot umgehen. Wenn negative Medieneffekte aufträten – das sei bei 5 bis höchsten 10 Prozent der Jugendlichen der Fall –, seien immer weitere Faktoren ausschlaggebend.

Was uns die Medienforschung ebenfalls lehrt: Verbote sind keine Lösung. Selbst wenn sie sich technisch umsetzen liessen – Altersbeschränkungen oder Verbote schaffen für Jugendliche in der Regel nur einen zusätzlichen Reiz. Allerdings, so Medienwissenschaftler Süss, sollten Plattformen wie Tiktok gezwungen werden, konsequenter und schneller negative Inhalte zu sperren. Zudem solle der Staat dafür sorgen, dass in den sozialen Medien Werbung eindeutig gekennzeichnet ist.

Schliesslich gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass neue Medien und neue Medieninhalte oft Teil der Jugendkultur sind und damit vielen Erwachsenen fremd. Früher trafen sich die Jungen im Jugendzentrum, heute schaffen sie sich autonome Räume im Digitalen, in den sozialen Medien. Das mag für ihre Mütter und Väter ein Problem sein, weil sie damit an Kontrolle über ihren Nachwuchs verlieren. Für die Jugendgeneration allerdings ist es ein Bedürfnis und ein berechtigter Anspruch.