Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kommentar zu den GesundheitskostenStatt sich über die Patienten zu beklagen, sollten Spitäler und Ärzte bei sich selbst ansetzen

Wer ist schuld an den hohen Kosten? Die Leistungserbringer im Gesundheitswesen machen es sich mit dem Sündenbock-Narrativ zu einfach.

Die Nervosität scheint gross zu sein. Je näher die Abstimmung zu den beiden Gesundheitsinitiativen im Juni rückt, desto schriller wird die Tonalität, die uns aus den Spitälern und Arztpraxen dieses Landes entgegenschlägt. Beide Initiativen wollen die steigenden Gesundheitskosten in den Griff bekommen – mit einem Prämien- (SP) oder einem Kostendeckel (Mitte). Gemäss unserer repräsentativen Umfrage haben aktuell beide Volksbegehren intakte Chancen. 

Doch wer ist verantwortlich für diese steigenden Kosten? Viele Spitäler und Ärzte schieben die Schuld neuerdings einseitig den Patienten zu. «Es herrscht heute eine Vollkasko-Mentalität», beklagten unlängst etwa die Direktoren dreier Spitäler im Interview mit dieser Redaktion. Patienten würden mit jedem Wehwehchen in die Notaufnahme rennen und wollten ihre falschen Google-Diagnosen mit teuren MRIs ausschliessen, hiess es kürzlich auch in der «NZZ am Sonntag». 

Patienten, so wird insinuiert, sind einfach unersättlich in ihrer Gier nach medizinischen Zusatzabklärungen. Und die überarbeitete Ärzteschaft? Und die überlasteten Spitäler? Müssen diese Horden von Hypochondern parieren. Sind den gnadenlosen Selbstoptimierern hilflos ausgeliefert. Darum steigt die Zahl der Behandlungen, darum steigen die Kosten. Weil die Nachfrage ja das Angebot bestimmt. 

Mit diesem Sündenbock-Narrativ machen es sich die Leistungserbringer im Gesundheitswesen allerdings zu einfach. Klar: Die Zahl der Behandlungen hat in den vergangenen Jahrzehnten nachweislich zugenommen. Und ja, die gesellschaftlichen Ansprüche an das Gesundheitssystem sind gestiegen – zu Recht, weil dank des medizinischen Fortschritts in Diagnostik und Behandlung mehr möglich ist. So enden zum Beispiel Krebserkrankungen heute seltener tödlich als früher. «Bedarfsausweitung» nennen Spitäler und Ärzteschaft diesen Trend. 

Aus ihrer Sicht findet dabei viel Missbrauch statt. Sicher, solche Fälle gibt es. Sie sind aber nicht repräsentativ für das Gros der Patienten mit berechtigten Bedürfnissen. Und gleichzeitig fällt auf, dass diese Stimmen aus Spitälern und Ärzteschaft ungern über das Phänomen der «Mengenausweitung» sprechen, das den Fokus auf sie lenken würde. Also auf Ärztinnen, die eine Reihe kostspieliger Untersuchungen anordnen, um die Diagnose nach dem Ausschlussverfahren zu stellen. Oder auf Ärzte, die unnötige Behandlungen und Operationen durchführen. 

Neues Tarifsystem soll Problem lösen

Statt sich pauschal über die Patienten zu beklagen, sollten diese Akteure zuerst bei sich selbst ansetzen, wenn es ihnen ernst ist mit der Kostensenkung im Gesundheitswesen. Zum Beispiel die Ärzteschaft: Deren Aufschrei ist jeweils laut, wenn ihre hohen Löhne kritisiert werden. Dabei sind diese kostenrelevant. In vielen Spitälern machen sie rund ein Fünftel des Gesamtaufwands aus. Mehrere Hundert Kaderärzte verdienen gemäss Experten mehr als eine Million Franken. Zudem steigen ihre Boni mit der Zahl der Behandlungen, was falsche Anreize setzt.  

Fehlanreize bestehen auch bei Fachärzten mit eigener Praxis. Gastroenterologen oder Neurochirurginnen verdienen sehr viel mehr als Haus- und Kinderärztinnen oder Psychiater. Just in letzteren Bereichen herrscht Personalmangel – der Nachwuchs entscheidet sich offensichtlich bewusst für gut bezahlte Fachrichtungen. Politik und Verbände wollen das Problem mit einem neuen Tarifsystem abfedern, bei dem Hausärzte und Psychiaterinnen auf Kosten der teuren Spezialisten besser bezahlt würden. Doch die Spezialisten wehren sich. Kostenverantwortung geht anders. 

Und dann die Spitäler: Eine Mehrheit schreibt Verluste, mancherorts müssen die Kantone sie vor dem Konkurs retten, etwa in Zürich oder im Aargau. Die Millionendefizite sind teils selbst verschuldet; teure Neubauten in unnötigem Ausmass und ein Ausbau des Behandlungsangebots statt Fokus auf Effizienz rächen sich jetzt finanziell. Teils sind die Defizite aber auch systemisch bedingt; neben der Teuerung und den gestiegenen Lohnkosten besteht eine teure, überdimensionierte Spitalstruktur, die zu stark auf stationäre statt ambulante Behandlungen ausgerichtet ist. 

Das zeigt: Das Kostenwachstum im Gesundheitswesen ergibt sich aus einem komplexen Geflecht aus mangelndem Reformwillen, strukturellen Problemen und individuellen Fehlanreizen. Dafür vorab die Patienten und deren Anspruchshaltung verantwortlich zu machen, ist unredlich. Die aktuelle Umfrage zur Abstimmung im Juni deutet darauf hin, dass die Bevölkerung diese Ignoranz der involvierten Akteure nicht mehr goutiert. Mangelnde Reformbereitschaft und fehlende Selbstreflexion könnten sich rächen. 

Newsletter

TT am Morgen

Erhalten Sie die wichtigsten News und Meldungen aus der Region.