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Gastbeitrag zum LandlebenPlädoyer für ein ländliches Selbstbewusstsein

Ländliches Idyll: Blick auf Säntis-Landschaft.

Dumm, dümmer, Landbewohner. Der abwertende Blick auf die Bevölkerung abseits der Ballungszentren hat Tradition – zuletzt etwa im Interview dieser Zeitung mit dem Philosophen Björn Vedder. Das «Minder» des Ländlichen wird dem «Mehr» des Städtischen untergeordnet. Mehr Kultur, mehr Konsum, mehr Innovation, mehr Transport: Dieses Mehr an Möglichkeiten verleiht der Stadt ein umfassendes Selbstbewusstsein – eines, das der Landbevölkerung längst abgesprochen wurde. Doch wäre nicht schon dieser Überfluss Anlass genug, dieses Selbstbild kritisch zu hinterfragen?

Oft ist es das Provinzielle und Beengende, welches dem Dorf- und dem Landleben zugeschrieben wird. Umgekehrt wird dem Umherreisenden, Kosmopolitischen nur Gutes beigemessen. Wieso das freie Denken gerade der Stadt zugesprochen wird, wo doch alle so dicht aneinander stehen? Wieso der topografischen Enge eine Beschränktheit anheften, wo sie doch den Blick fürs Wesentliche zu schärfen vermag? (Umfrage zum Leben auf dem Land: Holt das Landleben wirklich das Schlechteste aus den Menschen heraus?)

Die tiefe Verbundenheit mit einem Ort auf Erden ist es, was die Menschen auf dem Land dazu anhält, an Ort und Stelle zu verweilen und nicht fortzugehen. Gerüche, Gerichte, Klänge, Menschen – das alles bildet ein starkes Band. Wieso diese Verbundenheit abwerten? Wieso die Einfachheit und das Innehalten als Stagnation abtun? Egal wie weit die Reise geht, wahre Einsicht eröffnet sich einem doch erst bei der Einkehr bei sich selbst.

Erhellendes statt Düsteres

Könnten wir diese vom Zeitgeist geprägte Brille ablegen, würden wir nicht Konservatives und Düsteres erkennen, sondern Erhellendes und Weitreichendes. 

Nehmen wir die stetig steigenden Gesundheitskosten. Es scheinen insbesondere stark ländlich geprägte Regionen zu sein, die dieser Entwicklung etwas entgegenzuhalten haben. Das Sicherheitsbedürfnis moderner Gesellschaften wird in der Stadt auf die Spitze getrieben und endet in einem Exzess der Kontrolle. Das ist kostspielig. Womöglich ist es aber gerade die Abwesenheit unbeschränkter medizinischer Angebote, die uns widerstandsfähiger macht. 

Auch die Landwirtschaftsdebatte lässt sich ummünzen. Die bäuerliche Bevölkerung lebt nicht im Überfluss, im Gegenteil, ihr Leben ist einfach, reduziert aufs Wesentliche und naturnah. Ein wertvoller Erfahrungsschatz, der über Generationen weitergegeben und gepflegt wird. Ich bin überzeugt, dass er allen offensteht, die sich mit Respekt dafür interessieren. 

Das Leben auf dem Land ist langsam. Das Gleichzeitige unterliegt dem Eins-nach-dem-anderen. Öffnungszeiten beschränken das, was ansonsten ausufern würde. Gerade in Zeiten der mentalen Überstimulierung wäre es eine Chance, diese Grenzen und die mit ihnen verbundenen Pausen als wertvolle Ressource zu erkennen. 

Der Fortschrittsgedanke trieb die Menschen seit der Industrialisierung in die Städte. Dort gedeiht er, auf dem Land hingegen hat er nie wirklich Fuss gefasst. Nicht alles technisch Machbare zu machen, um ein Problem zu lösen oder ein Leben zu retten, sondern dem menschlichen Erschaffungsdrang Einhalt zu gebieten und sich anzupassen: Das ist fester Bestandteil der ländlichen DNA. Die Natur ist auf dem Land kein entlegenes Objekt, sondern Lebenselixier, das den Rhythmus bestimmt. Die daraus entspringende Demut wird oft fehlinterpretiert. 

Das Leben auf dem Land sind Begegnungen mit Menschen, die den Weg ins Dorf säumen. Es sind der Blick über die Bergkuppen und der tiefschwarze Nachthimmel. Das Leben auf dem Land ist mir noch nie eng erschienen, im Gegenteil, es lässt mich verbunden fühlen, lässt mich nach dem Grossen sinnen und das Kleine schätzen. Das Dorf ist ein Ort des Wachsens, es weist im Kleinen auf die grossen Fragen dieser Welt, wenn man nur hinschaut und hinhört. Das Weniger des Lebens auf dem Land kann mehr sein, als man zu glauben meint. Es ist Zeit, darüber nachzudenken.

Rachele De Caro ist Verlegerin und Autorin.