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Gesetz zur GeschlechtsänderungDeutschland beschliesst Selbstbestimmung: Geschlecht wird von Biologie entkoppelt

Künftig kann man beim Standesamt Geschlechtseinträge und Vornamen ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ändern: Teilnehmerin der Berlin Trans Pride.

Es gehört zu den kontroversesten Vorhaben der deutschen Ampelregierung. Beinahe zwei Jahre hat man in Deutschland über das neue Selbstbestimmungsgesetz gestritten, nun wurde es heute Freitag im Bundestag verabschiedet. Damit wird das über 40 Jahre alte Transsexuellengesetz abgelöst.

Bisher mussten Betroffene zwei Gutachten von zwei Sachverständigen vorlegen, die ihnen ihre Transgeschlechtlichkeit bezeugen. Damit werde ihr Zustand pathologisiert, sagen Transaktivisten. Der deutsche Lesben- und Schwulenverband schreibt auf seiner Seite: «Erwachsene berichten, dass intime Details aus der Kindheit und der sexuellen Vergangenheit abgefragt werden. Nach heute geltenden diagnostischen Kriterien sind aber weder die psychosexuelle Entwicklung in der Kindheit noch die sexuelle Orientierung ausschlaggebend für die Frage, ob aktuell eine transgeschlechtliche Identität besteht.»

Das neue Gesetz, so die Regierung, werde das nun korrigieren. Es diene dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und sei ein gesellschaftspolitischer Meilenstein. Künftig soll man beim Standesamt Geschlechtseinträge und Vornamen ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung von Mann zu Frau und divers oder umgekehrt ändern können. Bei Kindern unter 14 Jahren kann der gesetzliche Vertreter das Geschlecht bestimmen, Jugendliche zwischen 14-18 Jahren dürfen ihr Geschlecht mit Zustimmung der Eltern selber ändern.* Ist der gesetzliche Vertreter gegen eine Geschlechtsänderung, muss ein Gericht entscheiden, ob die Massnahme dem Kindswohl entspricht.

Die Idee dieses Gesetzes beruht auf dem sogenannt gender-affirmativen Ansatz, der – grob gesagt – vorgibt, das gefühlte Geschlecht einer Person nicht zu hinterfragen, sondern rasch medizinische Massnahmen anzubieten. Auch das ist umstritten – zumal diese Woche in England mit dem Abschlussbericht des Cass-Report eine Untersuchung vorgestellt wurde, die Zweifel am affirmativen Ansatz weckt: Dafür fehle jegliche wissenschaftliche Grundlage, so die Autorinnen und Autoren.

Furcht vor Missbrauch

Das Gesetz, das den Geschlechtsbegriff vom Körper entkoppelt, folgt dem Beispiel anderer europäischer Länder. So haben Portugal, die Niederlande und England in den vergangenen Jahren ähnliche Gesetze verabschiedet.

Doch die Massnahmen sind hoch umstritten. Wenn Geschlecht als reiner Sprechakt verstanden und auf eine objektivierbare, konsistente Definition verzichtet wird, kann das leicht missbraucht werden. Kommt das Selbstbestimmungsgesetz durch, würden es Straftäter künftig leichter haben, sich einer Strafverfolgung zu entziehen, indem sie einfach das Geschlecht wechselten, sagen Kritiker. Was den Strafvollzug betrifft, bleibt es aber in der Hand der Bundesländer, ob ein geänderter Geschlechtseintrag berücksichtigt wird oder nicht.

Falsche Personalpronomen können sanktioniert werden

Die Gegner des Gesetzes waren politisch vor allem bei der CDU und der AfD angesiedelt. Kritik am Gesetz kam aber nicht nur von rechts. Es fanden sich durchaus auch andere Stimmen unter den Kritikerinnen, auch Wissenschaftlerinnen und Frauenrechtlerinnen – und sogar Transmenschen. 

Besonders Frauenrechtlerinnen haben in den vergangenen Wochen und Monaten gegen das Gesetz opponiert. Sie fürchten um die bislang biologischen Frauen vorbehaltenen Schutzräume wie Garderoben, Toiletten oder Frauenhäuser.

Diese würden unter dem neuen Gesetz jedem geöffnet, der von sich behauptet, er sei eine Frau. Allerdings gilt laut Gesetz in diesen Fragen weiterhin das Hausrecht der Betreiber, die bestimmen dürfen, ob sie biologische Männer in Frauenräumen zulassen.

Mit einem Bussgeld von bis 2500 Euro kann künftig auch sanktioniert werden, wer eine Person absichtlich oder fahrlässig mit dem abgelegten Geschlecht oder dem früheren Vornamen anspricht oder «sich auf die vorherige Geschlechtszuordnung bezieht», so heisst es im Gesetz.

Dies gilt auch für Eltern von Transkindern. Gerade bei plötzlich und spät einsetzender Störung der Geschlechtsidentität haben diese oft erhebliche Zweifel, ob irreversible medizinische Eingriffe der richtige Weg sind für ihr Kind.

Gesetz kann vor Verfassungsgericht kommen

Es ging in der Diskussion letztlich auch um die Frage, ob eine Gesetzgebung geeignet ist, objektivierbare Fakten zu negieren. So argumentiert die Gegnerschaft, dass es sich beim «Geschlechtswechseln um eine legale Fiktion ohne biologische Entsprechung» handelt, wie es in einem kürzlich publizierten Manifest deutschsprachiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Medizin Biowissenschaften) heisst.

Die Unterzeichner verstehen sich als «liberale, progressive, weltoffene, linke und feministische Stimmen, die für Pluralität und Toleranz einstehen», wie es auf ihrer Website heisst. Es sei für die Politik unerlässlich, auf der Grundlage wissenschaftlich fundierter Fakten zu handeln und Debatten im Rahmen dieser geteilten objektiven Realität zu führen. «Politische Prozesse definieren soziale und rechtliche Realitäten; der Versuch der Politik, wissenschaftliche Fakten zu setzen, ist jedoch eine Grenzüberschreitung», so das Manifest.

Auch wenn der Gesetzesentwurf nun angenommen wurde, kann immer noch ein Verfahren beim Verfassungsgericht angestrengt werden, das die Rechtsnormen innerhalb der Rechtsordnung prüfen muss. In Kraft treten soll das Gesetz am 1. November 2024.

Korrekt: In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, über 14-Jährige könnten ihr Geschlecht ohne Zustimmung der Eltern ändern. Das trifft nicht zu. Von 14-18 Jahren braucht es die Zustimmung der Eltern.